Aktuelle Pflegereform und neue Elemente privatwirtschaftlicher Sicherung

Anfang 2009 führte die Große Koalition unter Gesundheitsministerin Ulla Schmidt den Gesundheitsfonds ein.
Vorausgegangen waren kontroverse Diskussionen, wie das Gesundheitssystems nachhaltig zu finanzieren sei – ohne einen weiteren Anstieg der Beiträge in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zu provozieren. Mediengerecht angeheizt wurde der Disput von einem Schreckgespenst namens “Kostenexplosion im Gesundheitswesen”, das im Lichte der Realität schnell zu Staub zerfällt. Ein markanter Kostenanstieg kann im Vergleich zum Anstieg des Bruttoinlandproduktes gar nicht konstatiert werden.
Die Notwendigkeit zur Beitragsanhebung resultierte vielmehr aus einem Absinken der Einnahmen, verursacht durch hohe Arbeitslosigkeit und Zunahme geringvergüteter Beschäftigungsverhältnisse.

Eigenverantwortung

Zumindest ließ sich mit dem Argument der Kostenexplosion gut trommeln und für mehr Eigenverantwortlichkeit – sprich “Eigenanteil” oder “Zuzahlung” – werben.
Ins Epizentrum der Diskussion stellte man die Begriffe “Gesundheitsprämie” und “Bürgerversicherung”.
Ersterer meint gleich hohe Beiträge für alle gesetzlich Versicherten, unabhängig vom Einkommen, und die Reduzierung bzw. Abschaffung des Arbeitgeberanteils und zugleich die Beibehaltung des Systems der PKV.
Letzterer beschreibt eine Beteiligung aller Bürger und aller Einkommensarten am System der GKV unter Beibehaltung des Solidaritätssystems und der Abhängigkeit der Beitragsätze vom Einkommen der Versicherten.

Stellschraube Gesundheitsfond

Mit dem Gesundheitsfond einigte man sich schließlich auf einen Kompromiss, der es künftigen Regierungen erlaubt, das System entsprechend eigener Priorität mit einer Priese mehr Gesundheitsprämie oder einer Prise mehr Bürgerversicherung zu würzen.
Der Fonds – eigentlich ein Finanzausgleich zwischen den gesetzlichen Krankenkassen – erfordert übrigens nicht annähernd den bürokratischen und finanziellen Aufwand, den Kritiker behaupten. Er funktioniert aber zusammen mit den Zusatzbeiträgen, die klamme Krankenkassen erheben müssen, als Stellschraube:
Durch Änderungen der Beitragssätze, erhalten die jeweiligen Bundesregierungen die Möglichkeit, die Relation zwischen einkommensabhängigen Beitragssätzen und einkommensunabhängigen Zusatzbeiträgen entsprechend ihrer Couleur zu regulieren.
Das Gesundheitssystem kann also relativ leicht in Richtung Bürgerversicherung oder Gesundheitsprämie verschoben werden.

Die FDP freilich sucht seit Schwarz-Gelb dieses Patt aufzulösen. Gesundheitsminister Rösler scheiterte dabei aber in seinen Bemühungen, die “Gesundheitsprämie” durchzusetzen, denn der vorgesehene Kostenausgleich für Geringverdiener aus Steuermitteln gilt als nicht finanzierbar.

Die Pflegeversicherung und ein weiterer Schritt zur Privatisierung sozialer Sicherungssysteme

Daniel Bahr hat sich erneut einen Sprung in Richtung Privatisierung vorgenommen.
Im Mittelpunkt seiner Pflegereform steht, neben Leistungsverbesserungen, vor allem deren Finanzierung: Der reale Zeitaufwand der Pflege soll künftig eine größere Rolle bei der Leistungsgewährung spielen, um so den Bedürfnissen – insbesondere Demenzkranker – besser zu entsprechen.
Problematisiert wird die hiermit verbundene Kostensteigerung und eine notwendige Einnahmeerhöhung.
Die FDP sieht die Lösung darin, dem Bürger den Abschluss einer zusätzlichen privaten kapitalgedeckten Pflegeversicherung abzuverlangen.
Diese Forderung entspricht Koalitionsvereinbarungen, in denen die Details aber nicht geregelt sind und so zur aktuellen Diskussion führten, die in Teilen an jene über die Finanzierung der GKV erinnert.
Diskutiert wird wieder auch die Rolle der PKV im System.
Die FDP will einen privatwirtschaftlichen kapitalgedeckten Anteil schaffen. Dem widerspricht die CSU, die teils eine kapitalgedeckte Zusatzversicherung überhaupt ablehnt und teils ein Modell priorisiert, das innerhalb der gesetzlichen Pflegeversicherung eine kapitalgedeckte zweite Säule schafft, neben der bestehenden umlagefinanzierten.
Ein CSU-Modell, das dem der FDP sogar diametral entgegensteht, sieht zur Finanzierung von Mehrausgaben Steuermittel vor.

Die Forderung, alle Einkommensart – also nicht nur solche aus abhängig beschäftigten Arbeitsverhältnissen – mit ins Boot zu nehmen, vernimmt man aus Oppositionskreisen, dann – so das Argument, welches an das Konzept der Bürgerversicherung erinnert – würde die Einnahmehöhe eine weitere Aufstockung gar nicht erfordern.

Des Weiteren werden, im Falle der Einführung einer obligatorischen privaten Zusatzversicherung, für diese sozialverträglich gerechte Beiträge gefordert, mittels derer die Risiken verschiedener Risiko- und Altersgruppen gleichermaßen abzudecken wären.
Dem widerspricht aber das Konzept der privaten Versicherungswirtschaft welches Alter und Risiko zur Berechnungsgrundlage für die Beitragshöhe macht.

Von Gewerkschaftsseite kommt gar der Vorschlag, einen Finanzausgleich zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung zu schaffen.

Daniel Bahr hatte ursprünglich geplant, die Eckpunkte seiner Pflegereform im Sommer des “Pflegejahres” 2011 vorzulegen. Derweil tun sich Zweifel auf, ob dies überhaupt bis Anfang 2012 gelingt. Es sollte der große Wurf sein der das System der Pflegeversicherung der Privatwirtschaft öffnet. Bislang wurde hauptsächlich eine Diskussion entfacht, in der die Trennlinien denen ähneln, die bereits die Diskussion um die Gesundheitsreform unter Ulla Schmidt bestimmten.

Schafft es Daniel Bahr, in die Pflegeversicherung die vorgesehenen privatwirtschaftlichen Elemente einzubringen? Sein aktuelles Konzept ist darauf angelegt, staatliche Verantwortlichkeit zurückzuführen und die kapitalgedeckte Finanzierung zu stärken.

Noch darf diskutiert werden!

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