Daniel Bahr, die Gesundheitsreform und das Pflegejahr 2011: Solidarität, Rationalisierung, Wettbewerb und Eigenverantworlichkeit

Am 12. Mai wurde Daniel Bahr von Bundespräsident Christian Wulff zum neuen Gesundheitsminister ernannt.
Zuvor war er als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium bereits maßgeblich an der Ausarbeitung der Gesundheitsreform 2011 und der Pfegereform beteiligt gewesen.

Mit 34 noch kein “alter Hase” in seinem Geschäftsfeld bringt FDP-Shootingstar dennoch Erfahrung und Kompetenz mit:
Von 2002 bis 2005 war er Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion für demografische Entwicklung, Behindertenpolitik und Pflege sowie Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung. Zum Gesundheitspolitischen Sprecher der FDP wurde er 2005. In dieser Funktion sparte er wenig an Kritik an der damalige Ministerin Ulla Schmidt.
Manche Kreise hatten ihn bereits für den Regierungswechsel 2009 als ihren Nachfolger gehandelt. Es dauerte aber noch rund anderthalb Jahre, bis er den, nun ins Wirtschaftsministerium gewechselten, Phillip Rösler beerben durfte.
In der Öffentlichkeit war er bishin vor allem durch seine böse Metapher aufgefallen, in der er den bayrischen Koalitionspartner wegen seiner ablehnenden Haltung zu Röslers “Gesundheitsprämie” mit einem kräftigen wilden Tier verglich.

Die “Gesundheitsprämie” wurde erst einmal auf Eis gelegt. Vor allem weil der vorgesehene Sozialausgleich aus Steuermitteln als nicht finanzierbar galt.
Andere Punkte der Gesundheitsreform 2011 traten Anfang diesen Jahres in Kraft:

  • Der im Rahmen des Konjunkturprogramms gesenkte Krankenkassenbeitragssatz wurde wieder auf 15,5 % des Bruttoeinkommens angehoben und gesetzlich festgeschrieben, um die Finanzierung der Gesundheitsversorgung künftig von den Arbeitskosten zu entkoppeln. Es soll so verhindert werden, dass bei ungünstiger wirtschaftlicher Entwicklung die Arbeitgeber durch steigende Lohnzusatzkosten zunehmend belastet werden. Der Arbeitgeberanteil beträgt nun 7,3 % und der des Arbeitgebers 8,2 %.
  • Die Krankenkassenfinanzierung wurde verbessert, indem die Obergrenze von 1% des Bruttoeinkommens, der als Zusatzbeitrag erhoben werden darf, geschliffen wurde. Zum Ausgleich der Kosten, die die Kassen mit Ihrem Anteil aus dem Gesundheitsfond nicht decken können, dürfen sie jetzt einen Zusatzbeitrag in unbegrenzter Höhe erheben.
  • Für den Sozialausgleich sorgt eine Regelung, nach der der Anteil des Zusatzbeitrages, der 2% des Bruttoeinkommens übersteigt, automatisch steuerlich verrechnet wird. Hierbei gilt der durchschnittliche Zusatzbeitrag als Orientierungswert. Auf diese Weise werden auch Versicherte mit geringen Einkommen angehalten, die Krankenkassen hinsichtlich der Beitragshöhen zu vergleichen.
  • Künftig kann zu einer privaten Kasse (PKV) wechseln, wer seit einem Jahr (anstatt 3) die Versicherungspflichtgrenze überschritten hat. Außerdem wurde die Versicherungspflichtgrenze gesenkt.
  • Die Verwaltungskosten der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) wurden für 2011 und 2012 auf den Stand von 2010 festgeschrieben.
  • In der Ausgestaltung von Preisen neuer Medikamente ist die Pharmaindustrie künftig eingeschränkt:
    Der Hersteller dokumentiert in einem Dossier den Nutzen des neuen Medikamentes. Wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss kein Zusatznutzen anerkannt, legt dieser eine Preisobergrenze fest, die maximal von der GKV erstattet wird. Im Falle eines anerkannten Zusatznutzens wird der Preis ausgehandelt.
  • Die von der Pharmaindustrie der GKV zu gewährenden Rabatte wurden erhöht.
  • Sofern die Krankenkasse ihren Zusatzbeitrag erhöht, gilt ein Sonderkündigungsrecht, ebenso wurde das Kündigungsrecht bei Wahltarifen gelockert. So kann ein Mitglied künftig auf Kosten- oder Leistungsveränderungen besser reagieren.
  • Eine Anpassung des Vertragsärztlichen Vergütungssystems soll Kosten reduzieren und lokale Verwerfungen bei der Vergütung ärztlicher Leistungen vermindern.

Im Zentrum der aktuellen Gesundheitsreform stehen somit Abkoppelung der Beiträge von den Arbeitskosten und Verbesserung der Einnahmesituation, Kostenrationalisierung auf Seite der Leistungserbringer, Erhöhung des Wettbewerbs unter den Kassen und – damit verbunden – die Verbesserung der Wahlmöglichkeiten für Patienten.

Die Reform der Pflegeversicherung steht im Wesentlich noch aus. Der Berliner Tagesspiegel bezeichnete Röslers Pläne in einem Kommentar am 18. April charmanterweise als “Mitfühlpolitik”, was durchaus negativ gemeint war. Kritisiert wurde, dass die Umsetzung der vorläufigen Eckpunkte noch nicht gesichert ist.
Konform zu den von CDU/CSU genannten Eckpunkten sieht Röslers Planung etwa die Neudefinition von “Pflegebedürftigkeit” vor, wobei vor allem die Alltagsfähigkeit – etwa von Demenzkranken – berücksichtigt werden soll. Zur Diskussion steht außerdem, die Möglichkeit für den Pflegebedürftigen, hinsichtlich der Gewährung von Pflegeleistungen zwischen einem System zu wählen, das nach Leistungskomplexen abrechnet und einem System, das nach Zeitkontingenten abrechnet. Diese Vorschläge kommen vor allem Demenzpatienten zu pass.
Die Beschäftigung ausländischer Pflegekräfte soll vereinfacht und die Ausbildung von Pflegepersonal verbessert werden.
Diskutiert werden neue Wohnformen für ältere Menschen deren Kosten zwischen den Leistungserbringern und den Kostenträgern auszuhandeln wären.

Zur nachhaltigen wirtschaftlichen Absicherung der Pflegeversicherung steht eine “ergänzende Kapitaldeckung” im Gespräch, die durch eine private Pflicht-Zusatzversicherung realisiert werden könnte.
Zwar wurde diese Zusatzversicherung im Koalitionsvertrag vereinbart, dennoch wird sie mittlerweile in Unionskreisen – respektive der CSU – zunehmend in Frage gestellt.
Daniel Bahr erklärte kurz nach seiner Ernennung, die Politik Röslers kontinuierlich fortsetzen zu wollen und verweist darauf, dass er bei der Ausarbeitung der Pläne als Staatssekretär federführend beteiligt gewesen sei.
Dies bedeutet sicherlich auch, dass er dazu steht, wenn Rösler äußert, dass nicht alles was wünschbar ist auch zu finanzieren sei.
Jedoch hat seit der personellen Neuordnung innerhalb der FDP ein Politikertrio – Lindner, Rösler, Bahr – mehr Gewicht, das soziale Aspekte stärker berücksichtigt.
Der Sarkasmus, des Tagesspiegels wenn er von “Mitfühlpolitik” spricht, ist möglicherweise nicht angemessen.

Bahr muss sich bei der Planung und Umsetzung der Pflegereform beeilen, will er sie im “Pflegejahr” 2011 unter Dach und Fach bringen. Er hat sich eigene Schwerpunkte vorbehalten, sich dabei aber grundsätzlich auf die Fortsetzung von Röslers Politik festgelegt.
Vor allem jedoch, wird er Diskussionen führen müssen, bei der die Finanzierung eine ähnliche Rolle spielen könnte, wie sie dies bei der Diskussion um die “Gesundheitsprämie” getan hatte.

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